Frühmorgens, 5.50 Uhr auf dem Lohberger Markt. Fast alle Pilgerinnen und wenige Pilger aus St. Marien haben sich
pünktlich versammelt und erwarten den Bus. Der schon recht freundliche Himmel verspricht einen schönen Wallfahrtstag. Über weitere Stationen in der Innenstadt, auf dem Hiesfelder Markt und in Hamborn
füllten sich die beiden Reisebusse mit insgesamt 90 Pilgern. Immer wieder gebremst durch den intensiven Berufsverkehr erreichen die Pilger die deutsch-belgische Grenze. Nun ist es nicht mehr weit! Auf
engen Straßen durchqueren wir belgische Dörfchen. Man kommt sich gleich „wie im Urlaub vor“. Eine andere Architektur, Hügel und Flüsschen, alles in französischer Sprache beschriftet. Banneux zeigt
sich später als kleine internationale Sprachinsel in der französischsprachigen Wallonie.
Damit sich die Pilger einmal als Gemeinschaft wahrnehmen, halten wir an der kleinen Kapelle, die das
berühmte und alte Kreuz von Tancremont aus dem 11. Jahrhundert beherbergt. Dort wurde eine Maiandacht gehalten, die Kirche ist fast zu eng für die große Gruppe.
Vielleicht hat dieser Halt eine tiefe Symbolik. Er macht deutlich, dass dieser Ort in den Ardennen im
Grenzgebiet immer eine umkämpfte, durch Kriege geprägte Gegend war. Kurz vor der Kapelle passiert man ein Fort, in dem sich in den Weltkriegen Soldaten
verschanzt hielten. Das Kreuz selbst war viele Jahre unter einem großen Stein im Acker vergraben, um es vor Zerstörung und Plünderung zu schützen.
Es zeigt einen Christus in romanischer Kunst, eine Krone auf dem Haupt, aufrecht und voller Würde,
bekleidet mit einem langen Gewand. Der Korpus ist fast lebensgroß. Er wäre der würdige Mittelpunkt einer Kathedrale, hier aber prägt er den ganzen Raum und
zieht die Blicke an. Durch Maria zu Jesus ist ein oft gehörter Satz auch in Banneux. Maria, Jungfrau der Armen, führ uns zu Jesus.....“ so hört sich das dort an.
Die Kapelle von Tancremont führt uns zum Wesentlichen. Hier ist nichts kitschig, überladen,
übertrieben. Nur wenige Kilometer noch, dann sind wir da in Banneux.
Der Bus lässt uns am Rande des Heiligen Bezirks heraus. Die einen strömen direkt in die Kirche, die
anderen ins Café zum Frühstück. Um 10.30 Uhr versammeln sich alle in der Botschaftkapelle. Pater Ludger, Prämonstratenser aus Hamborn (und mit unserem Bus gekommen) konzelebriert mit dem
Wallfahrtspfarrer. Eine „andächtige Messe“, so hätte meine Oma das genannt. Aber: eine ganz normale Messe, ohne Besonderheiten, ohne Messdiener, ohne Orgelspiel. Man spürt: der Wallfahrtsort finanziert sich allein aus den Spenden. Die Botschaftskapelle ist
einfach, schlicht ausgestattet und bestuhlt, an der Decke hängen Heizkörper, es gibt nur eine kleine Orgel, keine kostbaren Buntglasfenster oder aufwendige Kunstwerke.
Auch in der Sakristei gibt es keinen Überfluss. Anders als in vielen Gemeinden in Deutschland quellen die
Paramentenschränke nicht über. Für den etwas kräftiger gebauten Pater Ludger gibt es kaum eine passende Gürtel-Kordel, ein Zingulum. Ungewohnt für uns als Deutsche. Der Feierlichkeit der Messe tut das
keinen Abbruch. Der Priester hat sich gut vorbereitet. Er predigt zum Tagesevangelium und versteht es mühelos, seine moderne Interpretation des Evangeliums mit der frommen Botschaft des
Wallfahrtsortes in Bezug zu bringen.
Eine gewisse Schlichtheit und Einfachheit prägt den Wallfahrtsort bis heute. Anders als beispielsweise in
Kevelaer, wo der Wallfahrtsbetrieb eingebettet ist in auch künstlerisch – kunsthistorisch bedeutsame Kirchen
und Kapellen, die reich ausgestattet sind mit Kunstwerken aller Epochen, herrscht hier der Charme des Behelfsmäßigen.
Auch das Jubiläum hat nichts daran geändert, keine neue Kapelle, kein neuer Bildstock, keine
Neuanschaffungen sind sichtbar. Allenfalls etwas frische Farbe hier und dort. Das Pilgersein wird einem hier
richtig nahe gebracht. Wir sind Unterwegs, alles ist provisorisch, nur wenig würde man davon mitnehmen auf
den Weg, es gibt keine hohen Werte, die einen Menschen belasten und davon abhalten seinen Weg weiter zu gehen. Das hat etwas Befreiendes.
Auch der Andenkenverkauf und die Restaurants sind einfach und preiswert geblieben, bis heute. Offensichtlich
sind es vor allem nur Versorgungsbetriebe für die Pilger. Der „Heilige Bezirk“ des Wallfahrtsortes ist von
jeglichem Kommerz freigehalten. Die Geschäftemacher „müssen draußen bleiben“. Das ist sehr angenehm. Die
prächtigsten Gebäude um den Hl. Bezirk sind interessanterweise nicht die Kirchen und Kapellen. Es sind die
Krankenhäuser und Unterkünfte für die Pilger. Viele Ärzte und Krankenschwestern opfern ihren Urlaub, um den Kranken die Wallfahrt nach Banneux zu ermöglichen.
Wer ein wenig um den Wallfahrtsbezirk herum spazieren geht findet im ganzen Ort zahlreiche kleine und große
Klöster und geistliche Gemeinschaften, die auf den ersten Blick nicht auffallen. Hier und dort prägen Bildstöcke
die Gegend, es steht ein Kreuzweg entlang eines Baches. Immer wieder wird man erinnert an die Heilsgeschichte.
Manchmal im wunderlichen Kontrast zu Natur.
Da überwuchern Bäume und Sträucher eine Marienfigur. Da ist eine Kreuzigungsgruppe umgeben von lauter Blumen und blühenden Büschen. Die Natur sorgt für Kontraste. Überhaupt ist Banneux im Mai geprägt von
einer überbordenden Natur, alle denkbaren Grüntöne, verschiedenste Blumen am Wegesrand, hübsche Gärten, interessante Bauten. Alles ist etwas kleiner als in Deutschland. Villenähnliche Bauten und
Klöster wirken in ihrer Architektur monumental, in ihrer tatsächlichen Größe sind sie eher überschaubar. Eine interessante Mischung aus Bescheidenheit und architektonischer
Kunst. Es macht Freude die Gegend zu durchwandern und die vielen Kontraste zu genießen. Immer wieder wird man erinnert, dass diese schöne Gegend, die herrliche Schöpfung, die Kreativität der Architekten
eine Gabe Gottes ist.
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